Deutschland einmal aus der Sicht seiner Nachbarn zu sehen
- das ist die Idee der Friedensgespräche, die seit 10 Jahren
jeweils am Tag der deutschen Einheit stattfinden. Der Kreis
der Nachbarn ist seither größer geworden. Neue EU-Mitglieder
zählen wir zu unseren Nachbarländern und auch die Anwärter
auf diesen Status, darunter die Türkei. Am Freitag, den 3.
Oktober, 11 Uhr, hält der türkische Politologe und Publizist
Prof. Dr. Hüseyin Bagci im Rathaus den Festvortrag in deutscher
Sprache. Moderiert wird die Veranstaltung von Prof. Dr. Ingeborg
Tömmel, Direktorin des Jean Monnet Centre of Excellence in
European Studies der Universität Osnabrück. Erstmals laden
zur Festveranstaltung am Tag der Deutschen Einheit Stadt und
Universität Osnabrück gemeinsam mit dem Landkreis Osnabrück
ein.
Bagci ist Professor für internationale Beziehungen an der
Middle East Technical University in Ankara und dort auch stellvertretender
Vorsitzender des Zentrums für europäische Studien. Er hat
über die Außenpolitik der Türkei publiziert und ist zudem
TV-Kommentator und Kolumnist für die Turkish Daily News in
Ankara. Die Annäherung der Türkei und Europas ist seiner Ansicht
nach unumkehrbar: »Die Türkei investiert seit 350 Jahren
politisch, intellektuell, kulturell und zivilisatorisch im
Westen, d.h. sie befindet sich nicht auf der falschen Seite
der Geschichte«, so Bagci, »der Prozess der Modernisierung
und Verwestlichung nach dem europäischen Modell ist eine Entwicklung,
die die Türkei nicht mehr rückgängig machen kann - und Europa
auch nicht«.
Die verstärkte, oft kritische Aufmerksamkeit deutscher Medien
auf Ereignisse und Entwicklungen in der Türkei scheint dies
zu unterstützen: Die Wahrnehmung der Türkei und der Türken
in Deutschland ist darüber in den vergangenen Jahren differenzierter,
vielgestaltiger geworden. Nicht länger gilt die Türkei bloß
als Herkunftsland von Zuwanderern oder als preiswertes Urlaubsland.
Deutsche Erwartungen richten sich seit 2001 u.a. auf einen
essentiellen Beitrag der Türkei in der Auseinandersetzung
mit dem radikalen Islamismus. Aber auch verlässliche demokratische
Entwicklungsschritte, der Schutz der Minderheiten und zugleich
eine stabile Staatlichkeit werden von der Türkei gefordert.
Welche Erwartungen umgekehrt die türkische Seite gegenüber
Deutschland hegt, werde sein Vortrag deutlich machen, sagt
Professor Bagci und gibt einen ersten Hinweis: »Wenn
wir den mittleren Osten demokratisieren wollen, sollten wir
das nicht auf die amerikanische Art und Weise machen, sondern
auf die europäische: Die Demokratisierung sollte von unten
kommen, von der Zivilgesellschaft, den Universitäten, Intellektuellen,
Frauen usw., aber nicht von oben. Das ist in diesem Teil der
Welt nicht akzeptabel«, erläutert der 1988 an der Universität
Bonn promovierte Politikwissenschaftler.
Bagci kehrte zunächst als Assistenzprofessor an die renommierte
Middle East Technical University in Ankara zurück und wurde
1992 dort Professor. Spätere Forschungsaufenthalte führten
ihn an das Deutsche Orient Institut in Hamburg, zur Deutschen
Gesellschaft für Auswärtige Politik in Bonn sowie nach England
und Italien. Bagci ist Autor zahlreicher Buch- und Presseveröffentlichungen
zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen u.a. auf dem Balkan
und zum Verhältnis Europas bzw. Deutschlands zur Türkei.
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