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Presseinformation
27. September 2005
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Deutschland aus der Sicht des Baltikums
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Früherer Ministerpräsident Estlands beim
Friedensgespräch am Tag der Deutschen Einheit |
Am 3. Oktober um 11 Uhr wird im Rathaus mit
Ministerpräsident a.D. Mart Laar ein Politiker aus einem der
kleinsten und jüngsten EU-Mitgliedsländer über die Beziehungen
zu Deutschland und zu den Deutschen sprechen. Die Osnabrücker
Friedensgespräche haben zum Tag der Deutschen Einheit erneut
eine namhafte Persönlichkeit aus einem europäischen Nachbarland
eingeladen, um einen Blick von außen auf das seit 15 Jahren
vereinte Deutschland zu richten.
Mart Laar, der heute 45-jährige Historiker, Pädagoge und Abgeordneter
seiner Partei im estnischen Parlaments Riigikogu, gehörte zu
den ersten Politikern seines Landes, die die Chancen zur Neugestaltung
nach der 1991 erreichten Unabhängigkeit von der Sowjetunion
bot, ergriffen.
»Wir mussten unsere Wirtschaft und Verwaltung von Grund auf
modernisieren, weil Estland nach der Unabhängigkeit 1992 völlig
am Boden lag. Damals hatten wir eine Inflationsrate von über
1.000 Prozent und die Leute mussten Stunden lang an Lebensmittelläden
Schlange stehen. Heute haben wir in Estland eine der am stärksten
wachsenden Volkswirtschaften Europas mit einem ausgeglichenen
Haushalt, einer Inflationsrate von 1,2 Prozent und einer geringen
privaten Einkommenssteuerbelastung«, sagt Laar, der Estland
als Premierminister 1992 bis 1994 durch die Umbruchjahre führte
und erneut von 1999 bis 2002 an der Spitze seines Landes stand.
Die Öffnung der Märkte der baltischen Länder und die Bewegung
in Richtung Europäische Union und NATO waren nicht unumstritten:
Begleitet von Klagen über die wachsende Armut unter Rentnern
und die Diskriminierung großer russischer Bevölkerungsanteile
und strenge Harmonisierungsforderungen der EU, nahmen Umgestaltung
und Neuaufbau im Baltikum ihren Weg. »Knappe Ressourcen und
Geldknappheit sind nicht immer schlecht«, meint Mart Laar, sie
»fördern auch den Ideenreichtum und neue Formen der Zusammenarbeit«.
Dennoch ist die Zustimmung zur Mitgliedschaft Estlands in der
EU nicht überschwänglich. Im Referendum vom September 2003 sagten
nur 64% der estnischen Wähler »Ja« zum EU-Beitritt. Die militärische
Besatzung Estlands im Zweiten Weltkrieg durch Deutschland scheint
heute zur historischen Episode geronnen zu sein, über die nicht
mehr gestritten werden muss.
Aus Deutschland erhielten die Balten viel Unterstützung für
ihre Emanzipation vom übermächtigen Nachbarn Russland. Die jahrzehntelange
Zugehörigkeit zur Sowjetunion macht aber das Verhältnis zum
östlichen Nachbarn weiterhin problematisch. So ist jüngst die
Ratifizierung eines Grenzabkommens zwischen Russland und Estland
im russischen Parlament gescheitert. Hält die neue Freundschaft
mit Deutschland? Sehen sich die Balten im Westen angekommen?
Gibt es auch kritische Stimmen gegenüber dem westeuropäischen
»Way of Life«? Diesen und anderen Fragen wird Mart Laar in der
an seinen Vortrag anschließenden Diskussion unter Leitung von
Prof. Dr. Jörg Glombowski von der Universität Osnabrück nachgehen. |
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